Interview mit Björn Zeien und Sascha Platen health4ukraine: Gemeinschaftlich etwas bewegen

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Freie Kapazitäten in Pflegeheimen an geflüchtete ukrainische Pflegebedürftige vermitteln – das ist die Grundidee von health4ukraine. Im Interview mit HCM erzählen zwei der Initiatoren, wie die private Organisation dies in kurzer Zeit auf die Beine stellte und die Politik die Weiterarbeit nun unmöglich macht.

health4ukraine, Björn Zeien, Sascha Platen
Björn Zeien (links) und Sascha Platen, Mit-Initiatoren von health4ukraine. – © health4ukraine

„Wenn man ein gemeinsames Ziel verfolgt, ist es wesentlich einfacher zusammen zu agieren“, sagt Björn Zeien, einer der Initiatoren von health4ukraine. Für die Hilfsorganisation – hinter der Zeien, Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, und Sascha Platen stehen – habe sich eine ganze Branche engagiert. Das ist für Zeien neben der Hilfe für Pflegebedürftige das Besondere an der Initiative. Das Ziel, pflegebedürftige und mobilitätseingeschränkte Menschen auf der Flucht zu unterstützen, gelang durch die Zusammenarbeit zwischen health4ukraine, Alten- und Pflegeeinrichtungen mit freien Kapazitäten, Bundesverbänden und Unternehmen. Durch das schnelle Wachstum der Initiative sollten auch professionelle Strukturen geschaffen und für politische Verantwortung gesorgt werden. Im Interview mit HCM erläutern Björn Zeien und Sascha Platen,wie die private Initiative in kurzer Zeit mehreren hundert Menschen half und wie diese Hilfe durch die Politik blockiert wird, insbesondere bei den Themen „Verantwortung übernehmen“ und „Finanzierung“.

Was hat Sie zur Gründung von health4ukraine bewogen?

Zeien: Wir wollten Personen in den Fokus nehmen, die oft benachteiligt sind, auch schon ohne Krieg. Mich, Sascha Platen und Christine Vogler verbindet, dass wir alle mit dem pflegerischen Umfeld direkt oder indirekt zu tun haben. Beispielsweise Christine Vogler als Präsidentin des Deutschen Pflegerates spricht natürlich für sich selbst. Sascha Platen als Verantwortlicher eines internationalen Konzerns für den Healthcare-Bereich in Deutschland, aber auch als Miteigentümer an Pflegeeinrichtungen und meine Person, die ich seit Jahren auf der Seite der Software- und Abrechnungsanbieter für die Pflegebranche arbeite. health4ukraine soll Pflegebedürftigen helfen und zwar als private Initiative, nicht als Unternehmer. Wir wollten eigentlich nichts anderes als freie Kapazitäten in Pflegeheimen ausfindig machen, die wir dann an Dritte vermitteln. Das war die Ursprungsidee.

Hatten Sie keine Probleme an Pflegeplätze zu kommen – Stichwort: Pflegenotstand?

Zeien: Nein, das Schwerste war, dem entsprechenden Pflegeschlüssel gerecht werden. Hier haben wir erlebt, wie stationäre Pflegeeinrichtungen und Kliniken zusammengearbeitet haben. Gab es z.B. freie Kapazitäten, aber nicht genug Pflegepersonal für die Betreuung, kamen Pflegekräfte aus den umliegenden Kliniken in ihrer Freizeit in die Pflegeeinrichtungen, um dort auszuhelfen. Das zeigt den besonderen Schlag von Mensch, der in der Pflege arbeitet.

Wir wollten eigentlich nichts anderes als freie Kapazitäten in Pflegeheimen ausfindig machen, die wir dann an Dritte vermitteln. Das war die Ursprungsidee.

Björn Zeien

Und wie haben Einrichtungen, die Geflüchtete über Ihre Initiative aufgenommen haben, die Plätze finanziert?

Zeien: Hier wurden viele Einrichtungen von Seiten der Politik im Stich gelassen, weil Fragen nach der Finanzierbarkeit einfach offenblieben. Wir haben beispielsweise am Anfang keine Rückmeldung auf Bundesebene bekommen. Uns war auch bewusst, dass wir erstmal in Eigenleistung gehen müssen. Offizielle Schreiben haben wir erst Wochen nach Kriegsbeginn erhalten und einige Antworten stehen heute noch aus. Wenn Flüchtende einen Antrag auf Asyl stellen, haben sie allerdings Anspruch auf Grundsicherung, darüber wurden die Pflegeplätze bezahlt. Aber gerade zu Beginn war die Belastung seitens der Pflegeeinrichtungen hoch. Sie mussten die Anträge bei den zuständigen Behörden selber stellen, um dieses Geld überhaupt zu bekommen. Das haben oftmals die Pflegefachkräfte in ihrer Freizeit gemacht.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Management der Einrichtungen?

Zeien: Wir können natürlich nicht für alle Einrichtungen sprechen, aber beim Großteil der Einrichtungen war das Management von Anfang an in die Organisation involviert. Das ist aus meiner Sicht auch ganz wichtig, weil natürlich eine Belegung in einer Einrichtung immer mit dem Management abgestimmt sein muss. Das Management hat oftmals auch die Meldung an freien Kapazitäten übernommen bzw. beauftragte dann entsprechend das Personal damit, das konnten auch Personen aus dem kaufmännischen Bereich sein. Viele aus dem Managementbereich, die noch auf Verbandsebene tätig sind, haben z.B. auch angeboten, uns für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen.

Wieso ist health4ukraine so erfolgreich gestartet?

Zeien: Das Geheimnis ist zum einen die Macht der Netzwerke und zum anderen die Agilität. Wir beschäftigen uns in Deutschland oft damit, was alles schief gehen könnte und machen es dann nicht. Aber wir haben mit einer gewissen Naivität einfach mal angefangen. Immer, wenn ein Problem aufgetaucht war, dann haben wir es gelöst und zugesehen, dass nachfolgende Prozesse nicht mehr unter diesem Problem leiden mussten.

Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Initiative und wie zufrieden sind Sie?

Zeien: Das muss man gestaffelt sehen. Zunächst waren wir eine Hilfsgemeinschaft, wir sind zu dritt gestartet und nach einer Woche hatte sich das Ganze so entwickelt, dass wir 216 Frauen und etwa 200 Kinder in Deutschland unterbringen konnten. Wir waren von der Hilfsbereitschaft und der Dynamik überwältigt. Über die Social-Media-Kanäle sind beispielsweise Leute auf uns aufmerksam geworden – so gewannen wir neue Freiwillige. Und dann kam eine große Dynamik rein. Durch unser Netzwerk und Christine Vogler konnten wir Bundesverbände und Unternehmen aus der Branche für unsere Initiative gewinnen. So konnten wir die Bekanntheit multiplizieren. Aber dann kam der Moment, wo wir gesagt haben, es ist jetzt als Privatinitiative nicht mehr auf Dauer leistbar. Dann haben wir uns an die Politik gewandt: Wir hatten Gespräche auf Länderebene, auf Bundesebene auf Ministerienebene und haben was wir erreicht hatten, beschrieben, mit der Bitte, unsere Initiative an professionelle Strukturen zu übergeben. Damit das, was wir angesteuert hatten und was wirklich sehr gut angelaufen war, nicht versandet. Da kam dann dieser Moment der Ernüchterung, sogar eher Enttäuschung. Wir haben etwas Gutes getan, doch bei der Politik wollte keiner Verantwortung übernehmen.

Wie äußerte es sich, dass die Politik keine Verantwortung übernehmen wollte?

Zeien: Egal an welche Stelle wir uns wandten, hieß es, wir sollten uns an eine andere Stelle wenden. Wir wurden ständig weitergereicht und es kam nirgends zu einer Lösung. Es gab immer diesen Moment, wo es hieß, das sei eine super Sache und sehr interessant, aber gehen Sie damit bitte zu einer anderen Stelle. Wir wurden zwischen Bundes- und Länderebene hin- und hergereicht. Also das Land sagte, das muss der Bund entscheiden und der Bund sagte, wir sind ein föderalistisches System, daher müssen das die Bundesländer entscheiden. Wir mussten erkennen, dass wir mit unserer Initiative etwas Gutes getan haben und im politischen Umfeld einfach niemand Verantwortung übernehmen wollte.

Was haben Sie jetzt vor? Wie geht es mit health4ukraine weiter?

Zeien: Jetzt kam die Frage auf, was wir mit dem bereits Gewonnenen machen. Im Moment ist es leider der aktuelle Status, dass wir die Arbeit der Initiative nicht nur reduzieren müssen, sondern sie auslaufen lassen müssen, weil es für uns nicht mehr leistbar ist, aus verschiedensten Gründen, aber gerade auch weil im politischen Umfeld die Unterstützung in keiner Art und Weise gewährleistet ist. Wir wurden z.B. gefragt, wer denn für die Kosten aufkommen würde. Als Privatorganisation sind wir hier bisher in Vorleistung gegangen und haben das selbst getragen. Aufgrund der Dynamik, mit der wir gewachsen sind, haben wir dann auch Spendengelder eingesammelt. Allerdings sollte es der staatliche Anspruch sein, die Kosten zu übernehmen. So geht es vielen privaten Organisationen – wir können einen Sprint hinlegen, aber für die Marathonstrecke müssen professionelle Strukturen her. Sonst können wir die Unterstützungsleistungen auch nicht auf seriöser Ebene in diesem Umfang anbieten wie es bisher geschehen ist. Dazu kommt auch, dass die meisten, die selbst flüchten konnten, oder auch den Wunsch hatten zu flüchten, jetzt schon untergebracht sind. Ein Großteil, der noch vor Ort ist, möchte das Land nicht verlassen, viele Pflegebedürftige sind bedauerlicherweise auch mittlerweile verstorben.

Wir mussten erkennen, dass wir mit unserer Initiative etwas Gutes getan hatten, aber im politischen Umfeld einfach niemand Verantwortung übernehmen wollte.

Björn Zeien

Können die bereits aufgebauten Strukturen der Initiative anderweitig unterstützen?

Zeien: Erst kürzlich hat die Koordinierungsstelle des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und Bundesinnenministeriums (BMI) unter Führung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) mit ihrer Arbeit angefangen. Wir haben die Plattform dafür angeboten, also unsere Infrastruktur und unser Wissen. Das wurde auch positiv bewertet, aber leider wurde nicht mehr daraus.

Die aktuelle Situation in der Ukraine

Sascha Platen ist für health4ukraine vor Ort unterwegs. Im Interview mit HCM beschreibt er die Situation in der Ukraine.

Im Osten und Süden haben Menschen mit Pflegebedarf kaum noch eine reguläre Versorgung.

Sascha Platen

Wie geht es Menschen mit Pflegebedarf und gibt es Berichte über die Pflegesituation der Flüchtenden?

Platen: Die Situation in der Westukraine ist relativ entspannt. Im Osten und Süden ist eine Infrastruktur im Gesundheitswesen nicht mehr existent. Menschen mit Pflegebedarf haben dort kaum noch eine reguläre Versorgung. Arzttermine, medikamentöse Versorgung etc. sind nicht mehr möglich. Auf der Flucht ist es deutlich sicherer geworden und ab Polen und v.a. dann auch in den Transitregionen ist eine „Notfallversorgung“ durch Nichtregierungsorganisation (NGOs) wie auch unsere sichergestellt.

Wie schwer ist es mittlerweile, Pflegebedürftige nach Deutschland zu bringen?

Platen: Es ist jetzt deutlich besser und auch sicherer geworden, Menschen mit Pflegebedarf nach Deutschland zu bringen. Die Nachfrage hat aber auch deutlich abgenommen. Lediglich aus der Region um Odessa kommt es jetzt wieder vermerkt zu Fluchtbewegungen. Es ist nun wichtig vor Ort zu helfen. In der Westukraine kümmern sich die Menschen unter Einsatz aller Mittel um die Pflegebedürftigen.

Wie wird das Angebot von health4Ukraine vor Ort von den Ukrainerinnen und Ukrainern wahr- bzw. angenommen?

Platen: Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind sehr dankbar. Gerade die Menschen, die wir bei der Flucht ihrer pflegebedürftigen Angehörigen unterstützen konnten. Mit unserer Hilfe vor Ort (Medikamente, Betten, Rollstühle, Möbel, Lebensmittel) konnten wir zahlreiche Menschen erreichen. Inzwischen gehen viele Menschen zurück in die Ukraine und die Hilfsbedürftigkeit nimmt ab. 

Gibt es Geschichten von Flüchtenden, die Ihnen besonders in Erinnerung blieben?

Platen: Ja. Mir gehen bis heute zwei Geschichten nicht aus dem Kopf. Meine Handynummer wurde in Telegram-Gruppen in der Ukraine geteilt und so meldete sich abends gegen 23 Uhr eine weinende Frau bei mir. Mit Hilfe unserer Übersetzerinnen fanden wir heraus, dass es sich um eine junge Mutter mit einem elfjährigen halbseitig gelähmten Kind handelt, die nicht in die Bunker fliehen konnte, da das Kind zu schwer zum Tragen war. Mit Hilfe von lokalen Kräften vor Ort und einem Taxifahrer, den wir digital bezahlten, konnten wir die Frau mit dem Kind aus Kiew heraus und dann nach Lemberg bringen. Von dort kam sie mit unserer Hilfe nach Deutschland und beide leben heute glücklich in Nordbayern. Die zweite Geschichte: Eine ältere Frau saß im Grenzgebiet von Moldau alleine im Rollstuhl im Schnee. Menschen, die sich nicht bewegen können, werden dann quasi eingeschneit. Wir konnten auch diese Frau sicher in eine Pflegeunterkunft in der Nähe von Koblenz bringen.

Aufruf zur weiteren Unterstützung

Pflegeeinrichtungen, die weiterhin die Ukraine unterstützen möchten, sollten sich zukünftig an regionale Strukturen wenden. Da health4ukraine in Kürze auslaufen wird, wird die Initiative auch von weiteren Hilfs- und Spendenangeboten absehen. Sascha Platen und Björn Zeien bedanken sich für die Hilfe aller Einrichtungen, Verbände und Unternehmen.

Das Interview führte Bettina Kleinsteuber.