Pflege 7/7-Arbeitszeitmodell: Stabilität und Ausgleich

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Wechselnde Schichten und in unregelmäßigen Abständen ein freier Tag, das ist für viele Pflegefachkräfte Alltag. Auf Dauer kann der Spagat zwischen Arbeit und Freizeit zur Belastung werden. Das Pflegewohnstift Hönow führte deshalb ein neues Arbeitszeitmodell ein, jetzt haben die Mitarbeitenden regelmäßig eine Woche frei.

Dienstplan
So sieht ein Dienstplan im 7/7-Arbeitszeitmodell am Pflegewohnstift Hönow aus. – © Pflegewohnstift Hönow

Sieben Tage arbeiten, sieben Tage frei: So sieht es das Arbeitszeitmodell im DSG Pflegewohnstift Hönow unter der Leitung von Melanie Gerson vor. Und das seit mehr als zehn Jahren.

Inspiration von der Feuerweher

Als Gerson 2009 in die Einrichtung kam, traf sie auf eine große Unzufriedenheit innerhalb der pflegenden Belegschaft. Der Krankenstand war hoch, sodass die Pflegekräfte immer wieder für ihre Kollegen einspringen mussten. Die Freizeitplanung gestaltete sich für die Mitarbeiter bei den ohnehin unregelmäßigen Arbeitszeiten schwierig. Außerdem hatte die Pflegeeinrichtung mit hoher Personalfluktuation zu kämpfen.

5,5-Tage-Woche nicht zufriedenstellend

Um herauszufinden, an welchen Stellen, den Mitarbeitenden eine Veränderung am wichtigsten ist, hat Gerson eine Umfrage durchgeführt. Das Ergebnis: Eine 5,5-Tage-Woche, 7,25 Stunden Arbeitszeit pro Tag und das sieben bis zehn Tage am Stück sorgte für Unzufriedenheit. Die Mitarbeitenden wünschten sich mehr Planbarkeit und jedes zweite Wochenende frei.

„Solche Wünsche sind in einem Drei-Schicht-Modell schwer abdeckbar“, erklärt Gerson. Die entscheidende Inspiration kam damals von der Berliner Feuerwehr, die bereits auf das 7/7-Arbeitsmodell setzte. „Wir haben das Modell dann für drei Monate ausprobiert, mit dem Versprechen, dass die Mitarbeitenden hinterher selbst entscheiden sollten, ob sie das neue Arbeitszeitkonzept behalten möchten.“ Wie erwartet, stieß die Neuerung zunächst auf Kritik und Skepsis, doch die Abfrage im Anschluss an den Testzeitraum sollte ein anderes Bild ergeben.

Doch ehe die Mitarbeitenden von den Vorteilen profitieren konnten, stand zunächst einmal eine Umstellungsphase an. Es habe viel Überzeugungsarbeit gebraucht, aber mit den „Schlüsselträgern im Boot“ gelang auch das. Zuarbeitende Abteilungen wie Küche und Hauswirtschaft, die übrigens nicht im 7/7-Arbeitszeitmodell arbeiten, haben sich an die neuen Arbeitszeiten der Pflege angepasst. Auch die Besetzung des Nachttelefons musste umorganisiert werden. Doch der Aufwand und auch die Investitionen, die später noch fällig wurden, sollten sich auszahlen.

So ist das 7/7-Arbeitszeitmodell aufgebaut
  • Die Basis bildet eine 35-Stunden-Woche.
  • Die Arbeitszeit im Zweischichtmodell ist festgelegt auf 7 bis 19 Uhr, 7.30 Uhr bis 19.30 Uhr, 8 bis 20 Uhr und 19.15 bis 7.15 Uhr.
  • Pro Schicht (12 Stunden) sind zwei Stunden Pause vorgesehen.  
  • Per Vertrag sind 21 Tage Urlaub vorgesehen. Mit nur sieben Urlaubstagen haben die Pflegekräfte automatisch drei Wochen am Stück frei.
  • Geplant wird immer für zwölf Wochen.

Arbeiten angepasst an die Lebenssituation

Sieben Tage je 12 Stunden (davon zwei Stunden Pause) am Stück zu arbeiten, forderte die Mitarbeitenden zunächst. „Viele von ihnen berichteten, dass die längeren Arbeitszeiten eine große Umstellung gewesen sind“, erzählt Gerson. Von den folgenden sieben Tagen „Frei“ bräuchten sie circa zwei Tage, um sich zu regenerieren. „Kommen die Pflegekräfte allerdings nach der freien Woche wieder zurück, sind sie deutlich erholter und haben einen ganz anderen Blick auf die Bewohnenden und ihre Tätigkeit“, sagt die Heimleiterin. Das habe auch positive Auswirkungen auf die zu pflegenden Menschen. Und noch einen Vorteil hat das 7/7-Arbeitszeitmodell: Nicht nur die Mitarbeitenden haben mehr Stabilität, auch die Bewohnerinnen und Bewohner. „Sie haben eine Woche lang dieselben Betreuerinnen und Betreuer zur Seite. Das stärkte die Bindung und verbesserte insgesamt die Versorgungsqualität“, freut sich Gerson.

Die langfristigen Dienstpläne gibt es übrigens digital aufs Smartphone: Ein Dienstplanprogramm hält die Mitarbeitenden immer up to date, sollten doch einmal Änderungen nötig werden. Doch solche Fälle sind überschaubar. Ein Blick in die Statistik für die Monate Januar bis September 2021 zeigt laut Gerson eine prozentuale Abweichung vom Dienstplan von 0,4 Prozent. „Natürlich steht und fällt die Dienstplanstabilität auch bei uns mit Ausfällen von Mitarbeitenden“, räumt Gerson ein, diese hätten sich durch das neue Arbeitszeitmodell aber deutlich reduziert.

Eine größere Investition, die seitens der Einrichtung durch die Umstellung auf das veränderte Arbeitszeitmodell nötig wurde, war die Gestaltung eines attraktiven Pausenbereichs sowie Schlafräumlichkeiten. „Es ist essenziell, dass unsere Pflegekräfte ihre Pausenzeiten von zwei Stunden einhalten und für diesen Zeitraum auch wirklich abschalten können. Im Sommer gehen viele unserer Mitarbeitenden in unserem Garten spazieren. Als Alternative stehen ihnen moderne Pausenräume mit Fernsehern zur Verfügung und natürlich auch ein Erholungsraum mit Schlafmöglichkeiten“, berichtet die Heimleiterin.

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    Melanie Gerson
    © Pflegewohnstift Hönow
    Melanie Gerson hat das neue Arbeitszeitmodell eingeführt. Sie ist wie ihre Teams von dessen Vorteilen überzeugt und freut sich, dass die Pflegekräfte einen Mehrwert darin für sich sehen.
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    Anja Backhaus
    © Pflegewohnstift Hönow
    Anja Backhaus arbeitet seit 2016 im Pflegewohnstift Hönow. Zuvor war sie viele Jahre im ambulanten Bereich als Schwester für SAPV tätig. Das Dienstplanmodell war ein Aspekt, der dazu führte, dass Backhaus, sich für den Wechsel entschieden hat. „Durch die kontinuierliche Anwesenheit desselben Teams im Turnus können wir uns besser im Tages- und Nachtverlauf strukturieren. Wir haben die Bewohnerinnen und Bewohner sieben Tage lang im Blick. Das ermöglicht uns eine bessere Krankenbeobachtung. Wir haben mehr Zeit für die Dokumentation. Auch Angehörigengespräche sind besser planbar. Der lange Freiturnus hat einen deutlich größeren Erholungseffekt. Natürlich können die Dienstwochen sehr anstrengend sein. In dieser Zeit findet so gut wie kein Privatleben statt. Und man benötigt nach dem Arbeitsturnus mehr Zeit zur Regeneration.“
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    Sabrina Engelhard
    © Pflegewohnstift Hönow
    Sabrina Engelhard ist seit mehr als 25 Jahren als examinierte Altenpflegerin/Pflegefachkraft in der stationären Altenpflege tätig. Aufgrund familiärer Umstände hat sie sich vor zwanzig Jahren dazu entschieden, in Dauernachtwache zu arbeiten. „Durch das 7/7-Arbeitszeitmodell am Pflegewohnstift Hönow erfahre ich persönlich viele Vorteile: z.B. die individuelle und kontinuierliche Pflege und Betreuung der Bewohnenden. Einen Menschen von Tagesbeginn bis Tagesende zu begleiten, birgt für mich große Vorteile. Der Begriff Beziehungspflege wird hier wieder Thema. Ich habe das Gefühl, dass unsere Bewohnenden uns Pflegekräfte eher als ‚Lebensbegleiter‘ wahrnehmen. Natürlich ist es sehr anstrengend sieben Tage je zwölf Stunden (inklusive zwei Stunden Pause) zu arbeiten. Allerdings sorgt die Aussicht auf mehrere freie Tage am Stück für Erleichterung. Für mich persönlich ist dieses Arbeitszeitmodell eine sehr gute Grundlage, meine Arbeit in der Altenpflege auch langfristig zu leben.“
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    Mandy Thiem
    © Pflegewohnstift Hönow
    Mandy Thiem arbeitet seit vier Jahren als Pflegefachassistentin im Pflegewohnstift Hönow. „Durch dieses Modell ist es möglich, in einem festen Team zu arbeiten. Dadurch kennt man sich besser und kann effektiver zusammenarbeiten. Es ist ein gutes Gefühl für unsere Bewohnenden von morgens bis abends eine feste Ansprechpartnerin zu sein. Sieben Tage sind zum Ende hin sehr anstrengend. Umso wertvoller sind sieben freie Tage am Stück, was mit einem normalen Schichtdienst fast unmöglich ist. So habe ich einen hohen Erholungswert. Ich habe einen Arbeitsweg von rund 45 km. Durch dieses Arbeitszeitmodell fahre ich weniger und spare Fahrkosten.“

7/7-Arbeitszeitmodell hat sich in der Pandemie bewährt

Die feste Einteilung der Pflegeteams in Kohorten habe sich in den vergangenen zwei Jahren der Corona-Pandemie bewährt. „Wir haben auf feste Starttage des Sieben-Tage-Dienstes gesetzt. Somit hat immer eine geschlossene Gruppe zusammengearbeitet“, sagt Gerson. So war die Nachverfolgung von Corona-Infektionen möglichst einfach koordinierbar. Fällt ein Teammitglied aufgrund Quarantäne oder Infektion aus, kann das restliche Team untereinander in Eigenregie die Kompensation organisieren.

Vorteile im Überblick
  • Verlässlichkeit und gute Work-Life-Balance
  • Gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit
  • Einfachere Dienstplangestaltung
  • Umsetzung nur in Teilbereichen einer Einrichtung möglich

Arbeitgeberzufriedenheit gestiegen?

„Unser Arbeitszeitmodell ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal“, berichtet Gerson. Obwohl sich das Modell in den vergangenen zehn Jahren sowohl aus Mitarbeitenden-, Bewohnenden- sowie Einrichtungssicht bewährt hat, kennt Gerson jenseits des DSG-Hauses keine Einrichtung, die das Modell kopiert hat. Aus ihrer Sicht, hat das Modell aber durchaus Potenzial den steigenden Anforderungen in Sachen Work-Life-Balance der Mitarbeitenden zu begegnen. „Gerade Mitarbeitende mit Familien und kleinen Kindern melden uns immer wieder zurück, dass sie eine deutliche Erleichterung hinsichtlich des Zeitmanagements im Privaten wahrnehmen“, berichtet Gerson. Ein gesteigertes Bewerbungsaufkommen konnte sie durch das nachweislich attraktive Arbeitszeitmodell aber nicht feststellen. „Das ist vermutlich aber auch unserer Lage im Berliner Umland geschuldet, wo die Konkurrenz zahlreich ist“, lautet die Vermutung. Dennoch: Wer im DSG-Pflegewohnstift Hönow lernt, bleibt in der Regel auch dort: „Alle Azubis, die bei uns gelernt haben, sind noch bei uns.“ berichtet Gerson.

10 Schritte für die erfolgreiche Umsetzung

1. Vorstellung des innovativen „7/7-Abeitszeitmodells“ als Option, z.B. im Rahmen einer Mitarbeiterversammlung.

2. Abgleich gängiger Arbeitszeitmodelle gegeneinander im Hinblick auf Vor- und Nachteile, offene Diskussion über das neue Modell.

3. Ausräumen von Bedenken bezüglich der verlängerten Dienstzeiten und eingeschränkter Möglichkeiten zur Kinderbetreuung an Arbeitstagen.

4. Erste Beschlussfassung: Die Pflegemitarbeitenden sollen in ihrer Gesamtheit einer testweisen Erprobung des neuen Arbeitszeitmodells zustimmen (Testzeitraum sechs Monate).

5. Beschränkung des Tests auf einzelne Einrichtungsbereiche oder Stationen, wenn Zustimmung der Mitarbeitergesamtheit nicht erreicht werden kann.

6. Einbeziehung der Bewohnererfahrungen in den Test, Abfrage von aktueller Zufriedenheit und Wünschen hinsichtlich der Tagesorganisation vor der Testphase.

7. Umfassende Evaluation der Testphase, Befragen der Mitarbeiter und Auswerten subjektiver Erfahrungen, statistisches Erfassen der messbaren Daten (Krankenstände).

8. Vorher-nachher-Vergleich: Darlegen der Veränderungen und erzielten Erfolge durch das neue Arbeitszeitmodell während der Testphase.

9. Zweite Versammlung mit Beschlussfassung: Die beteiligten Mitarbeitenden stimmen nach Abschluss von Punkt 8 in ihrer Gesamtheit oder für Teilstationen der Beibehaltung des „7/7-Arbeitszeitmodells“ zu.

10. Gegebenenfalls Präsentation der Erfahrungen und Erfolge im Rahmen weiterer Mitarbeiterversammlungen der Einrichtung zum Zwecke der stufenweisen Ausweitung des neuen Modells.

Quelle: DSG-Pflegewohnstift Hönow

Den Leitfaden zum „7/7-Arbeitszeitmodell“ finden Sie auf der Website des Deutschen Seniorenstift Gesellschaft.