Strukturwandel Fit für die Ambulantisierung? Ein Leitfaden für Krankenhäuser

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Für Entscheiderinnen und Entscheider im Krankenhaus gehen diese strukturellen Veränderungen der Rahmenbedingungen voraussichtlich mit genauso vielen Chancen wie Risiken einher. Um sowohl Chanen als auch Risiken angesichts zunehmender Vorhaben in Richtung Ambulantisierung vorausschauend einordnen zu können, kann folgender Leitfaden eine wertvolle Orientierungshilfe sein.

Ambulantisierung Strategien für Kliniken Prüflogik nach Gutachten
Prüflogik gemäß Gutachten nach § 115b Abs. 1a SGB V – Annex Kontextprüfung. Kursiv dargestellte Kontextfaktoren sind noch nicht final operationalisiert. – © BinDoc

Neben den krankenhausplanerischen Konzepten einer Strukturreform der stationären Versorgungslandschaft ist die fortschreitende Ambulantisierung der Medizin das bestimmende Thema der Gesundheitspolitik.

Für Aufbruchsstimmung sorgt in dieser Hinsicht nicht etwa der Ampelkoalitionsvertrag indem an verschiedenen Stellen das Thema Ambulantisierung aufgegriffen wird (Hybrid-DRGs, Notfallversorgung, Gesundheitsregionen) sondern vielmehr das Projekt der Selbstverwaltung zur Neufassung des AOP-Katalogs. Mit dem Auftrag an GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Kassenärztliche Bundesvereinigung das Verzeichnis für „ambulantes Operieren“ zu überarbeiten sind die Erwartungen des Gesetzgebers hoch:

  1. Identifizierung des Ambulantisierungspotenzials
  2. Reduzierung des Prüfaufwandes für die Abrechnung von Gesundheitsdienstleistungen
  3. Schaffung eines einheitlichen Vergütungsrahmens
  4. Transformation stationärer Strukturen hin zu neuen klinisch-ambulanten Versorgungs- bzw. Nachnutzungskonzepten

Zu Punkt 1 wurde im April 2022 mithilfe des MDK-Reformgesetztes ein Gutachten veröffentlicht indem Operationen und Behandlungen für die Überarbeitung des AOP-Katalogs konkret empfohlen werden sowie Vorschläge für eine Schweregraddifferenzierung enthalten sind.

Ambulantisierung: Die Spielregeln ändern sich

Ob ein medizinischer Eingriff ambulant durchgeführt werden kann, wird nach den Konzepten des Gutachtens nicht mehr länger von der kategorischen Einordnung zwischen ambulant und/oder stationär abhängen sondern von der konkreten Behandlungssituation eines Patienten: In welchem Allgemeinzustand befindet sich der Patient? Beinhaltet der weitere Behandlungsverlauf gegebenenfalls nicht ambulant durchführbare Eingriffe? Sind drohende Komplikationen oder postoperative Risiken auch ohne stationäre Aufnahme beherrschbar?

Um Ambulantisierungspotenziale der bislang stationären Versorgung einerseits umfassend, andererseits unter Wahrung der Patientensicherheit zu nutzen, ist es daher notwendig, bei der Entscheidung „ambulant oder stationär“ den Behandlungskontext jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen. Um dieser Logik gerecht zu werden wird ein Prüfverfahren vorgeschlagen, welches die ambulante Behandlungsmöglichkeit unter Berücksichtigung eines konkreten Behandlungskontextes in einschließende und ausschließende Kriterien unterteilt.

Zu den einschließenden Kriterien gehören neben dem bisherigen AOP-Katalog sowie dessen Erweiterung eine Auswahl definierter Fallpauschalen. Die Ausschlusskriterien sind unterteilt in vier leistungsbezogene Kontextfaktoren und fünf patientenbezogene Kontextfaktoren (siehe Abbildung 1). Zwischen den Ausschlusskriterien herrscht Gleichwertigkeit und keine Hierarchisierung, sodass das Vorliegen eines Kontextfaktors bei Behandlungsprüfung ausreicht, um eine stationäre Behandlung zu begründen.

Eine gewisse Limitation der Prüflogik ist aktuell noch damit zu begründen, dass für die Berücksichtigung diverser Kontextfaktoren zwar eine Empfehlung im Rahmen des Gutachtens ausgesprochen wird, eine konkrete Operationalisierung jedoch noch nicht vorliegt.

Ungeachtet der Limitationen gilt bislang, dass für alle Behandlungsfälle eine stationäre Aufnahme theoretisch möglich ist und die Beurteilung einer „korrekten“ Behandlungsform durch positiven Bescheid oder Anfechtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) entschieden wird. Gemäß den neuen Spielregeln kann von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden, sodass zukünftig die Leistungserbringer in die Bringschuld versetzt werden ihrer Dokumentationspflicht ausreichend nachzukommen, um entweder ex-ante oder ex-post einen Behandlungskontext nachzuweisen, der eine stationäre Behandlung begründet.

Fit für die Ambulantisierung?

Für Entscheiderinnen und Entscheider im Krankenhaus gehen diese strukturellen Veränderungen der Rahmenbedingungen voraussichtlich mit genauso vielen Chancen wie Risiken einher.

Die deutliche Ausweitung des AOP-Katalog auf Basis der Empfehlungen des Gutachtens können als Chance für den flächendeckenden Ausbau eines klinisch-ambulanten Bereiches bislang primär stationärer Leistungserbringer verstanden werden. Laut Experteneinschätzungen soll dadurch die Grundlage zur stufenweisen Etablierung der im Koalitionsvertrag verankerten Hybrid-DRGs geschaffen werden. Die Empfehlungen zur Ausweitung von potenziell ambulanten Leistungen führt jedoch gleichzeitig zu Risiken durch einen massiven Einschnitt in das ohnehin bereits stagnierende oder im Zweifel rückläufige stationäre Fallzahlaufkommen in Kliniken. Zusätzlich drohen bei für unnötig befundenen vollstationären Krankenhausbehandlungen höhere Prüfquoten aufgrund der Verschärfungen durch das MDK-Reformgesetz.

Um sowohl Chanen als auch Risiken vorausschauend einordnen zu können, kann folgender Leitfaden für Krankenhäuser wertvolle Orientierungswerte liefern:

  1. Welche Fachabteilungen sind absolut und relativ am stärksten von Ambulantisierung betroffen?
  2. Auf welche Hauptdiagnosen und Prozeduren erstreckt sich die Ambulantisierung im Detail und wie können Chefärzte hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung von Fachabteilungen sensibilisiert werden?
  3. Mit welchen ökonomischen Auswirkungen muss durch die Substitution bislang stationärer Fälle hinzu ambulanter Refinanzierung kalkuliert werden?
  4. Wie stellen sich diese Effekte übertragen auf die Auslastung und den zukünftigen Bettenbedarf dar?
  5. Welche Auswirkungen hat die Ambulantisierung auf den zukünftigen stationären Versorgungsbedarf einer Versorgungsregion und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Budgetverhandlungen?

Kooperation vs. Konfrontation

Neben den allgemeinen Orientierungswerten die zur Beantwortung der Fragen auf Basis klinikeigener Datensätze nach §21 KHEntgG sehr niederschwellig generierbar sind liegt die vermutlich größere Herausforderung darin, die generelle Neuordnung der Rollenverteilung für Kliniken und niedergelassene Ärzte in Versorgungsregionen zeitnah zu erkennen. Das Konzept zur  Erweiterung des AOP-Kataloges als auch eine geplante Einführung sog. Hybrid-DRGs ist aus Sicht der Kliniken weniger die Öffnung des ambulanten Bereichs für stationäre Leistungserbringer, sondern tendenziell eher die Öffnung des bislang stationären Sektors für ambulante Leistungserbringer. Aus diesem Grund können sinnvolle sektorenübergreifende Kooperationen im Idealfall wertvolle Synergien heben die eine bedarfsgerechte und kosteneffiziente Versorgung begünstigen. Umgekehrt kann das Zusammenspiel zwischen Krankenhaus und bislang kooperierenden und einweisenden Ärzten durch die veränderten Rahmenbedingungen auch zum Nachteil werden wenn daraus kompetitive Strukturen hervorgehen sollten.

Ambulantisierungspotenzial heben, aber mit Blick auf Patientensicherheit

Aufgrund „knapper“ Kassen und der jährlich steigenden Diskrepanz zwischen den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und den Einnahmen des Gesundheitsfonds (siehe Defizit der Kassen höher als erwartet) ist von einem erhöhten politischen Handlungsdruck auszugehen. Im Herbst wird eine Entscheidung zur Erweiterung des AOP-Kataloges von den Selbstverwaltungspartnern erwartet, sodass von einer schrittweisen Implementierung und einem Inkrafttreten bereits zum Jahreswechsel ausgegangen werden kann.

Konfliktpotenzial das diesen optimistischen Zeitplan noch blockieren kann ist die fehlende Berücksichtigung infrastruktureller Voraussetzungen in der gutachterlichen Prüflogik. Nach Vorstellungen der Krankenhäuser sollten komplikationsanfällige Krankheitsbilder für die eine ambulante Behandlungsform potenziell in Frage käme zwingend daran geknüpft werden, um die notwendige Patientensicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleisten zu können. Ganz abgesehen von der ausreichenden und gleichzeitig einheitlichen Finanzierung.

Kontakt zum Autor

Maximilian Schmid, COO – Geschäftsführung, BinDoc GmbH, Kontakt: maximilian.schmid@bindoc.de