Roboter in der Medizin

Medizinische Roboter: Kooperieren, nicht substituieren

Robotik in der Medizin ist Zukunftsmusik? Weit gefehlt: Schon heute entlasten Roboter knappes Personal, übernehmen Routinetätigkeiten und sorgen bei Operationen für mehr Präzision und weniger Fehler. Jetzt müssen robotische Systeme breiter in der Medizin verankert werden.

02.08.2022

Wer an Roboter denkt, der denkt an C3PO und den Terminator – Kinohelden, die mit der Realität wenig zu tun haben. Manch einer kennt auch Pepper, ein (realer) humanoider Kindchenschema-Roboter, der auf emotionale Interaktion spezialisiert ist. Pepper ist gelegentlich auf Veranstaltungen zu sehen, aber es gibt auch medizinische Bezugspunkte: Er wird unter anderem in der Altenpflege in verschiedenen Einsatzszenarien genutzt und erforscht. 

Tatsächlich ist die Robotik in der Medizin außerordentlich vielseitig: „Medizinische Roboter kommen schon jetzt in unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz, und künftig werden es noch deutlich mehr sein“, betont Dr. Louise McKenna-Küttner, Leiterin Advanced Therapies Deutschland bei Siemens Healthineers. Zentrale Einsatzgebiete sind dabei neben der Pflege die Chirurgie/Orthopädie sowie (minimalinvasive) Interventionen und das medizinische Labor.

In der Pflege befindet sich die Robotik noch am Anfang. Robotik in der Pflege – das ist zum einen das „Pepper-Szenario“, also die Nutzung emotional orientierter, humanoider Roboter in Interaktionssituationen mit alten und insbesondere dementen Menschen. „Roboter können zum Beispiel Übungen vormachen und in bestimmten Situationen Anleitungen geben“, erläutert Prof. Dr. Andreas Hein, Leiter Abteilung Assistenzsysteme und Medizintechnik an der Universität Oldenburg. „Es gibt erste Studien, die zeigen, dass solche Systeme positive Effekte haben können.“

Das zweite wichtige Einsatzgebiet für Pflegeroboter sind Tätigkeiten mit starker physischer Belastung. Hier können robotische Manipulatoren als „Hilfskräfte“ genutzt werden, die bei der Umlagerung oder bei der Mobilisierung von Patient*innen bzw. Heimbewohner*innen unterstützen. Für Hein sind solche Szenarien nicht zuletzt eine Antwort auf den Pflegemangel: „Die physische Belastung ist bei Pflegekräften ein wesentlicher Grund, den Beruf zu verlassen.“ Roboter könnten dazu beitragen, den Pflegeberuf deutlich attraktiver zu machen.

Im Vergleich zu Pflegerobotern sind Robotik-assistierte Interventionen in der medizinischen Versorgung schon etwas stärker präsent. Hier gelte es, ein häufiges Vorurteil auszuräumen, wonach robotische Assistenzsysteme autonome Systeme seien, die unabhängig von der Kontrolle der Behandler*innen agierten, sagt Markus Wiegmann von dem Medizingerätehersteller Stryker. Die Systeme ähnelten eher den Spurhalteassistenten beim Auto: „Es geht darum, die Präzision einer Prozedur zu verbessern, die Fehlerrate zu reduzieren und die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen.“
Dies geschieht, indem bereits vor der OP ein CT basierter, patientenindividueller OP-Plan erstellt wird, der für die Operation in haptische Grenzen übersetzt wird. Diese haptischen Grenzen bieten den Ärzt*innen die Sicherheit auf 0,1mm und 1Grad genau zu resezieren und verhindern die Verletzung angrenzender Weichteile. Ärzt*innen würden bei diesen Einsatzszenarien nicht substituiert, sondern unterstützt, betont Wiegmann. Die Patient*innen profitierten dadurch, dass Eingriffe reproduzierbarer werden und unabhängiger von externen Einflussfaktoren wie etwa der Tagesform der Operateur*innen und des Personals.
In medizinischen Labors schließlich verbessern Roboter teils schon seit Jahren Produktivität und Effizienz – nicht nur, aber vor allem auch außerhalb der Kernarbeitszeiten. Für Volker Miegel vom Roboterhersteller United Robotics Group adressieren Laborroboter nicht zuletzt den im Laborbereich sehr ausgeprägten Fachkräftemangel. So hätten Labore schon länger teils enorme Schwierigkeiten, medizinisch-technischen Assistent*innen (MTA) zu finden. Und das gelte keineswegs nur für die großen Labore: „Roboter ermöglichen es nicht zuletzt kleineren und mittelgroßen Krankenhäusern, einen Laborbetrieb aufrecht zu erhalten.“

Pflege, (minimalinvasive) Eingriffe und Labor sind nicht die einzigen Einsatzfelder für robotische Systeme in der Medizin. Louise McKenna-Küttner sieht perspektivisch einen vermehrten Einsatz von Robotern nicht zuletzt bei telemedizinischen Versorgungsszenarien: „Roboter können helfen, den Zugang zu medizinischer Versorgung zu verbessern.“ 

Ein Beispiel sind Interventionen oder Operationen, bei denen Spezialist*innen auf Distanz agieren, sei es, indem sie das robotische System selbst steuern, sei es, indem sie Ärzt*innen, die vor Ort mit robotischen Systemen arbeiten, unterstützen. Interessant werden könnte das in Zukunft unter anderem bei Katheterinterventionen an Blutgefäßen wie etwa den Herzkranzgefäßen oder den Arterien im Gehirn. Gerade bei Eingriffen an Hirnarterien sind Spezialist*innen dünn gesät, während gleichzeitig der Bedarf sprunghaft ansteigt. „In Regionen mit wenig Expertise können solche telerobotischen Szenarien lebensrettend und lebensqualitätssichernd sein, beispielsweise in der interventionellen Schlaganfallversorgung“, so McKenna-Küttner. In der Pflege wiederum könnten robotische Blutentnahmen ein Zukunftsthema werden. Studien dazu laufen.

Trotz aller Vorteile: Robotische Systeme tun sich derzeit vielerorts noch schwer, ihren Platz im medizinischen Versorgungsalltag zu finden. Gerade auch in der Pflege, wo viele Einsatzszenarien denkbar sind, herrscht noch Zurückhaltung. Hein sieht hier diffuse, auch durch die Popkultur geprägte Erwartungshaltungen am Werk, die von dem divergieren, was robotische Systeme in einem komplexen, oft wenig strukturierten Bereich wie der Medizin tatsächlich leisten können. Hier geht es also um Erwartungsmanagement mit dem Ziel, die Akzeptanz bei den Anwender*innen zu verbessern und ihnen – Stichwort körperliche Entlastung – die Vorteile zu kommunizieren. 

Bei Robotern in der Chirurgie oder in interventionellen Fächern sei die Anwenderakzeptanz dagegen weniger das Thema, so Wiegmann. Hier scheitere es oft daran, dass der zusätzliche Nutzen der Roboter sich nicht in der Vergütung abbilde: „Dass es im deutschen Gesundheitswesen keinen finanziellen Mehrwert der robotischen Eingriffe gibt, ist ein Haupthinderungsgrund.“ Entsprechend stehe nur ein Bruchteil der weltweit genutzten OP-Roboter in Deutschland, obwohl das Land für sich beanspruche, weit vorn dabei zu sein. 

Miegel sieht aus Herstellersicht außerdem bei der Regulatorik einen gewissen Verbesserungsbedarf. Die Hürden, robotische Systeme zu zertifizieren, seien enorm hoch: „Ich plädiere hier für etwas mehr Mut, Technologien auch einfach mal auszuprobieren.“ Unterstützung in diesem Punkt kommt von Hein, der sich für den Bereich Pflege große, niedrigschwellig zugängliche Feldversuche wünscht: „Die Pflege bietet für robotische Systeme hochinteressante Perspektiven. Wir brauchen mehr Offenheit und müssen die Entwicklungen in frühen Phasen auch mehr unterstützen.“

Profitieren dürften robotische Systeme nicht zuletzt vom Digitalisierungs-Momentum, das die Medizin in den letzten Jahren überall auf der Welt erfasst hat. Denn medizinische Roboter agieren nicht in einem Vakuum, sondern werden zunehmend in digitale Ökosysteme integriert: „Die vernetzte Robotik ist der nächste Level. Digitale Basistechnologien sind wichtig, und sie werden auf Dauer auch der Robotik nutzen.“ Entscheidend wird sein, dass die Diskussionen über die Robotik, ihren Mehrwert und die Herausforderungen, mit denen sie zu kämpfen hat, nicht mehr nur in kleinen Zirkeln, sondern auf breiter gesundheitspolitischer Bühne geführt werden. McKenna-Küttner ist optimistisch: „Wir können die medizinischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nur alle gemeinsam lösen. Und die Robotik ist ein Teil der Lösung.“