Nachhaltigkeitsberichterstattung Die Konsequenzen reichen über das Regulatorische hinaus

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Die EU setzt Nachhaltigkeit als „Müsser“ auf die Tagesordnung der Krankenhäuser. Warum diese sich jetzt mit den neuen Rahmenbedingungen auseinandersetzen sollten – und zwar nicht nur aufgrund drohender Sanktionen, erklärt Dr. Christian Heitmann, Partner in der Unternehmensberatung Curacon, im Interview mit HCM.

ESG
Krankenhäuser müssen in Sachen Nachhaltigkeit ins Handeln kommen, das schreibt jetzt die EU vor. – © Parradee (stock.adobe.com)

Welche Vorgaben kommen im Kontext Nachhaltigkeit auf die Krankenhäuser zu?

Heitmann: Die Corporate Sustainability Directive der EU (CSRD) macht es erforderlich, künftig einen Bericht zur Nachhaltigkeit zu erstellen. Sie wurde im November 2022 verabschiedet und betrifft große Kapitalgesellschaften laut HGB, die mindestens zwei der Kriterien 20 Millionen Euro Bilanzsumme, 40 Millionen Euro Umsatz und 250 Mitarbeitende erfüllen. Die CSRD gilt auch für Organisationen, die laut ihrer Satzung wie große Kapitalgesellschaften Rechnung legen – also etwa Stiftungen oder eingetragene Vereine. Sie alle haben erstmalig für 2025 im Jahr 2026 einen solchen Bericht vorzulegen.

Wie viele deutsche Krankenhäuser sind von der Regelung betroffen?

Heitmann: Unsere Analysen haben gezeigt: Gut die Hälfte der Krankenhäuser sind laut den beschriebenen Kriterien berichtspflichtig. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass jeder Krankenhausverbund berichtspflichtig sein wird.

Worum müssen sich die Häuser kümmern?

Heitmann: Die CSRD besagt, dass sie sich um drei Berichtsfaktoren zu kümmern haben. Sie lauten Environment – Umwelt (E), Social – soziale Kriterien (S) und Governance – Unternehmensführung (G). Zu jedem dieser „ESG“-Faktoren muss im Nachhaltigkeitsbericht berichtet werden. Dabei zielen die meisten Aktivitäten bzw. Projekte, die in der letzten Zeit auch bei Krankenhäusern anlaufen, auf „E“. Über diese bislang rein ökologische Betrachtung kommt also auf die Häuser eine deutlich breitere Berichtspflicht zu.

Im Sinne der „doppelten Wesentlichkeit“ müssen sie dabei „ihre“ individuellen wesentlichen Handlungsfelder identifizieren, um damit folgende Fragen zu klären: „Was für einen Einfluss habe ich mit meinem Geschäftsmodell auf die Umwelt – und welchen Einfluss hat die Umwelt mit dem Thema Nachhaltigkeit auf mein Geschäftsmodell?“.

Gelten denn für alle Häuser dieselben Kriterien?

Heitmann: Die Anforderungen der CSRD gelten für alle berichtspflichtigen Einrichtungen gleichermaßen. Aber: Ein Nachhaltigkeitsbericht kann nicht für alle Akteure gleich sein, denn sie sind regional und mit ihrem Leistungsspektrum unterschiedlich aufgestellt. Neben Akutversorgung bieten manche auch ambulante und Pflege-Leistungen, Altenheime und vieles mehr an. Die Wesentlichkeit und die Handlungsfelder der Häuser unterscheiden sich also. Ein weiteres Beispiel: Häuser in den neuen Bundesländern haben eine relativ moderne Infrastruktur, während Leistungserbringer in den alten Bundesländern eine oft überalterte Infrastruktur aufweisen – mit völlig anderen Herausforderungen etwa in energetischer Hinsicht.

Welche Aspekte stehen bei „S“ und „G“ im Mittelpunkt?

Heitmann: Soziale Faktoren zielen u.a. auf die Mitarbeiterschaft, beispielsweise Familien-Life-Balance, soziale Ungerechtigkeit, Bildung oder Innovation ab. Im Hinblick auf die Governance gilt es u.a., Nachhaltigkeit von der Spitze beginnend bis in die Unternehmensebenen zu leben! Hier spielen die Verankerung von Nachhaltigkeit in die Organisation, Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung sowie Transparenz und Compliance eine Rolle. Auch das Streben nach wirtschaftlichem Überleben ist übrigens Teil von „G“.

Christian Heitmann, Curacon

„Krankenhäuser sollten eine Status-quo-Analyse starten und basierend darauf strategische Ziele für die identifizierten Handlungsfelder festlegen.“

Dr. Christian Heitmann, Partner, Unternehmensberatung Curacon.

Was sollten Krankenhäuser schon jetzt tun?

Heitmann: Sie sollten sich jetzt mit dem Thema auseinandersetzen und erste Mitarbeitende schulen, die das Thema vorantreiben sollen. Ferner sollten sie eine Status-quo-Analyse starten. Viele von ihnen haben ja schon einzelne Maßnahmen in Umsetzung, etwa bei der Einsparung von Energie oder auch bei Mitarbeiterbindung und -gewinnung. Auch beim Thema Governance sind die Einrichtungen schon vielfach aktiv – sie sehen dies derzeit aber nicht im Kontext Nachhaltigkeit. Daher lohnt sich diese Ist-Aufnahme. Als strategisches Instrument geben wir hier den Häusern unser „ESG-Radar“ an die Hand. Gemeinsam mit der Steinbeis-Hochschule Berlin haben wir hierzu 24 Handlungsfelder identifiziert; Aus unserer Sicht sollten die Krankenhäuser dann rund acht für sie relevante Handlungsfelder identifizieren.

ESG Curacon
Nachhaltigkeit ist ganzheitlich zu betrachten. Dabei gilt es die ESG-Faktoren im Detail zu kennen. – © Curacon

Was sollte auf diese ersten Schritte folgen?

Heitmann: In der nächsten Phase sollten die Häuser ihre strategischen Ziele für die identifizierten Handlungsfelder festlegen – etwa „Will ich bis 2035 klimaneutral sein, was sind meine Ziele bei S und G?“. Sobald diese Zielvorgaben stehen, folgt eine Maßnahmenplanung zur Messbarmachung der Nachhaltigkeits-Kennzahlen (KPIs) z.B. zur CO2-Einsparung, Personalkennzahlen usw. – Messungen sind dabei unterjährig durchzuführen. Dies ist die Vorbereitung dafür, dass man die Strategie umsetzen und am Ende auch sinnvoll berichten kann.

Die Umsetzung ist also der nächste Schritt?

Heitmann: Ja – die dritte Phase beinhaltet, Kennzahlen zu messen und nachzuhalten sowie Maßnahmen in nachhaltige Effekte umzusetzen … um im Anschluss darüber zu berichten.

Wer ist typischerweise verantwortlich?

Heitmann: Bislang haben noch wenige Krankenhäuser individuell Zuständige. Ähnlich wie bei der Digitalisierung mit einem Chief Digital Officer werden wir das auch bei der Nachhaltigkeit erleben. Die Häuser und Konzerne, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen, bauen hierzu Stabsstellen zum Thema Nachhaltigkeit auf. Flankiert wird dies durch weitere Vorgaben wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – auch ein großes Thema durch den breit gefächerten Einkauf der Häuser.

Aufgaben für die Person(en) in diesen Stabsstellen sollte(n) die Strategieentwicklung beinhalten, die Definition von Zielen und das Herunterbrechen von Maßnahmen. Solche Stabsstellen gibt es bereits bei ausgewählten großen Krankenhausträgern. Der Pferdefuß lautet. Es gibt keine Refinanzierung durch die Vergütung! Und: Während die Sozialwirtschaft hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung schon stärker Fahrt aufgenommen hat, sehen sich die Krankenhäuser derzeit einem ganzen Bündel weiterer Herausforderungen gegenüber wie etwa der bevorstehenden Krankenhausreform – das bindet natürlich Ressourcen.

Bringt das Thema Aspekte über die Regulatorik hinaus mit sich?

Heitmann: Sehen wir uns den Gesamtrahmen an. Aussitzen und Strafe zahlen geht nicht; Nachhaltigkeit fußt nämlich auf der EU-Taxonomie, die Kapitalströme in nachhaltige Infrastruktur lenken will. So soll die CSRD dazu beitragen, zu steuern, wieviel Kapital in nachhaltige Investments fließt. Sobald hierbei quotiert wird – Banken also Geld bevorzugt an nachhaltige Unternehmen geben müssen –, erhalten gegebenenfalls nicht berichtende Unternehmen und/ oder nicht nachhaltige Unternehmen keine Kredite mehr. Dies gilt auch für Krankenhäuser.

Flankiert wird die Nachhaltigkeit künftig also durch Bankenanforderungen über die BaFin – und ebenso durch Mitarbeitende, die darauf achten, ob ihr Arbeitgeber nachhaltig aktiv ist. Auch für diese Kommunikationsaufgabe benötigt man den Nachhaltigkeitsbericht. Zusätzlich ist übrigens abzusehen, dass auch die Prämiengestaltung der Versicherer künftig mit an der Nachhaltigkeitsberichterstattung hängt. Vor diesem Hintergrund sollten sich daher auch jene Häuser Gedanken über eine Nachhaltigkeitsberichterstattung machen, die von der CSRD nicht dazu verpflichtet werden.

Wie lautet Ihre Handlungsaufforderung?

Heitmann: Wer als berichtspflichtiges Krankenhaus das Nachhaltigkeitsmanagement 2025 etabliert haben muss und das Jahr 2024 als Probejahr nutzen möchte, der sollte 2023 die Zeit nutzen, um die Nachhaltigkeitsstrategie mit Zielen, Kennzahlen und Maßnahmen zu entwickeln und so ab 2024 deren Messbarkeit gewährleisten. Das bedeutet: Den Häusern bleiben gerade mal neun Monate für die Version 1.0. Es gilt, jetzt anzupacken!

Nachhaltigkeitsberichterstattung im Detail – mehr dazu in den Ausgaben von HCM

In den kommenden Ausgaben von HCM schaut die Redaktion genauer auf das Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung und diskutiert Themen und Erfahrungen mit Krankenhausverantwortlichen. Dabei wird es u.a. um folgende Fragestellungen gehen:

  • Wie kommt man zu einer Nachhaltigkeitsstrategie?
  • Wie richtet man ein Nachhaltigkeitscontrolling ein?
  • Welcher organisatorische Aufbau ist zielführend?